Letztes Update: 27. 12. 2023

Author: Monika Schirmeier

Lesedauer: 7 Minuten

Was ist nachhaltiges UX/UI Design?

„Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ (Brundtland-Bericht, 1987)

Wenn überhaupt darüber nachgedacht wird, halten viele Menschen das Internet für ein grünes Medium. Schließlich ersetzt es Papier – „Think before you print.“ Doch es kann für den einen oder anderen Nutzer oder Nutzerin überraschend sein, dass das Versenden einer E-Mail, das Durchführen einer Google-Suche oder das Tweeten (X-en) alles Handlungen sind, die Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Genauso verhält es sich im Bereich des UX/UI Designs. Jeder Besuch bei den Kund:innen, Testpersonen oder sonstigen Beteiligten, jede Wahl einer geeigneten Test-Methode, sowie jedes Einsetzen von Bild, Video, jede Wahl einer Farbpalette oder der Typografie Auswirkungen auf die Umwelt hat.

Was ist eigentlich UX/UI Design?

Für ein besseres Verständnis für nachhaltige Gestaltung ist es wichtig zunächst zu verstehen, was UX und UI Design eigentlich sind.

UX Design

Im Mittelpunkt des UX Designs steht das zu gestaltende Erlebnis der Nutzer:innen. Der Fokus von User Experience liegt auf dem Menschen, der das Produkt nutzen wird. Es geht dabei im die Emotionen, die Wahrnehmung und den physischen und psychologischen Reaktionen. Bei User Experience wird der Mensch holistisch betrachtet.

UI Design

User Interface Design ist die Interaktion zwischen Nutzer:innen und einer Anwendung unter Verwendung von Befehlen, Grafiken, Inhalt und weiteren Elementen. Es ist die grafische Darstellung der Layout-Struktur. UI Designer:innen gestalten somit die Nutzeroberfläche einer Anwendung.

Normen für UX/UI Design

User Experience Design richtet sich nach der Norm für Ergonomie der Mensch-System-Interaktion: DIN ISO 9241-210. Nach dieser Norm umfasst User Experience: „alle Aspekte der Erfahrungen eines Nutzers bei der Interaktion mit einem Produkt, Dienst, einer Umgebung oder Einrichtung.“ Mit dem Satzteil „Alle Erfahrungen“ sind Wahrnehmungen, Reaktionen und Empfinden einer Person bei der Nutzung eines Produktes.

Kommt dort auch Nachhaltigkeit vor?

Der frühere Wortlaut der DIN EN ISO 9241-210, 2010, definiert auf der S. 6 User Experience folgend:

„Menschzentrierte Gestaltung ist ein Ansatz zur Entwicklung interaktiver Systeme, der darauf abzielt, Systeme gebrauchstauglich und zweckdienlich zu machen, indem er sich auf die Benutzer, deren Erfordernisse und Anforderungen konzentriert und menschliche Faktoren/Ergonomie sowie Kenntnisse und Techniken zur Gebrauchstauglichkeit anwendet. Dieser Ansatz erhöht die Effektivität und Effizienz, die Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit, und verbessert das menschliche Wohlbefinden, die Benutzerzufriedenheit; und möglichen nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Sicherheit und Leistung, die bei der Nutzung des Systems entstehen, wird entgegen gewirkt.“

Nach dem Wortlaut der Norm bezog sich User Experience neben Gebrauchstauglichkeit und Zweckdienlichkeit einer Anwendung, ebenfalls auf Zugänglichkeit, Nachhaltigkeit und die Verbesserung des menschlichen Wohlbefindens. Doch die knappe Ausführung der Nachhaltigkeit richtete sich auf die soziale Nachhaltigkeit (das Wohlbefinden der Menschen) und auf die wirtschaftliche Nachhaltigkeit, nicht jedoch auf die Aspekte der Umwelt.

In der Fassung aus dem Jahr 2019 werden neben den ökonomischen und sozialen Aspekte zusätzlich die Aspekte der Umwelt hinzugezogen. In der DIN EN ISO-Norm 9241-210, 2019, S. 31 steht: „Eine menschzentrierte Gestaltung unterstützt außerdem Umweltaspekte durch die Förderung eines Gestaltungsansatzes, der den gesamten Lebenszyklus berücksichtigt.“ Sie ermutigt ausdrücklich alle an der Gestaltung Beteiligten, die langfristigen Folgen ihres Systems für ihre Nutzer:innen zu bedenken und demzufolge auch die Folgen für die Umwelt.

-> Mehr über geltende Normen und Nachhaltigkeit

User-Centered vs. Environmental-Centered Design

Mit der Beachtung der Grundsätze von Usability, User Experience und der Interface Gestaltung, wird eine verbesserte und intuitive Konzeption und Gestaltung von Anwendungen ermöglicht. Dies führt wiederum zum dem Ergebnis, dass die Nutzer:innen ein positives Nutzungserlebnis haben, denn die Anwendungen funktionieren besser als solche, denen diese Grundsätze nicht zugrunde liegen.

Das nachhaltige Design, Life-Centered Design oder auch Environmental-Centered Design fokussiert sich nicht nur auf die Menschen, sondern bezieht die Umwelt und die Umgebung in die Prozesse und das Gestaltung ein.

Beim Environmental-Centered Design steht der Mensch in der Hinsicht auf die Konzeption und Gestaltung von Anwendungen nicht an der obersten Stelle, sondern er steht mitten in einem Ökosystem aus Lebewesen und der Natur.

Vorteile der Ausrichtung auf nachhaltiges UX Design

Die Vorteile einer Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit im Prozess und der Gestaltung ist auch bei Unternehmen, vielen Nutzer:innen und Verbraucher:innen bereits angekommen.

Vorteile für Unternehmen:

Laut einer Capgemini-Studie aus dem Jahr 2020 möchten nahezu 80% der Verbraucher:innen einen positiven Beitrag leisten, den Planeten für künftige Generationen zu erhalten, 72% machen sich ernsthafte Sorgen über ihren ökologischen Fußabdruck und ganze 66% entscheiden sich für nachhaltige oder umweltfreundliche Produkte oder Dienstleistungen.

In einem Interview mit dem Co-Founder der Marke Patagonia, Yvon Chouinard, wird klarer, dass Nachhaltigkeit kein endgültiger Weg ist, sondern ein Prozess, der sich immer weiter entwickelt: „There’s no such thing as sustainability. There are just levels of it. It’s a process, not a real goal. All you can do is work toward it.“

-> Mehr zu den Vorteilen, Erfolgen und Sorgen für Unternehmen

Vorteile für Designer:innen

Die Ausrichtung auf nachhaltiges UX Design bietet für Designerinnen eine Chance, nicht nur ihre beruflichen Fähigkeiten zu erweitern, sondern auch einen positiven Beitrag auf die Umwelt zu haben. Es ermöglicht ihnen, ihre Kreativität und Fachkenntnisse einzusetzen, um Produkte zu gestalten, die sowohl funktionell als auch ethisch und ökologisch verantwortungsbewusst sind.

Designer:innen, die auf Nachhaltigkeit setzen, können einen enormen Wettbewerbsvorteil auf dem umkämpften Markt haben. Denn mit ihren Skills helfen sie Unternehmen langfristige und integrative Designs zu entwerfen und durch gezielte Kommunikation einen positiven Ruf für die Unternehmen aufzubauen.

Säulen des nachhaltigen UX/UI Designs

Bei der Nachhaltigkeit im UX/UI Design geht es um die Schonung der Ressourcen und das in den Prozessen und in der Gestaltung. Die Säulen des nachhaltigen UX/UI Designs sind:

  1. Energieeffizienz: wird durch Reduzierung des Stromverbrauchs elektronischer Geräte und Förderung energiesparender Verhaltensweisen bei den Nutzer:innen erzielt.
    Mehr zur Energieeffizienz
  2. Zugänglichkeit: bedeutet Berücksichtigung der Bedürfnisse von Nutzer:innen mit temporären oder dauerhaften körperlichen und seelischen Einschränkungen und älteren Personen.
    Zur Barrierefreiheit im UX/UI Design
  3. Calm Design: unterstützt Personen, die auf visuelle oder hörbare Reize empfindlich reagieren und überfordert nicht. Es kann durch eine sinnvolle und durchdachte Platzierung von Inhalten und dem Senken der Komplexität erreicht werden.
    Mehr über Calm Design lesen
  4. Digitaler Fußabdruck: Förderung umweltfreundlicher Verhaltensweisen bei den Nutzer:innen, z. B. Verringerung des CO2-Fußabdrucks und Förderung der Nachhaltigkeit.
    Mehr über den digitalen Fußabdruck erfahren
  5. Kommunikation: gezielte Kommunikation der Umweltauswirkungen des Produkts durch die Nutzer:innen schafft Transparenz über die getroffenen nachhaltigen Designentscheidungen.
    Wie funktioniert Kommunikation im nachhaltigen UX/UI Design

Fazit

Nachhaltiges UX Design ist eine zukunftsweisende Herangehensweise, die weit über die bloße ökonomische Investition in Nachhaltigkeit hinausgeht. Es erfordert, dass Unternehmen und Designer:innen ihre Verantwortung erkennen und aktiv Maßnahmen ergreifen, um nicht nur effiziente, sondern auch ethisch und ökologisch verträgliche Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Ein ganzheitlicher Ansatz, der die Auswirkungen auf Individuen, die Gesellschaft und die Umwelt von Anfang an berücksichtigt führt zu einer Win-Win-Win-Situation. Unternehmen und Designer:innen sollten daher die richtigen Fragen stellen, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen und sich dafür einsetzen, dass UX Design nicht nur ökonomisch erfolgreich ist, sondern auch einen positiven Beitrag zur Gesellschaft und Umwelt leistet.

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Quellen:

Bundtland-Kommission (1987): Report of the World Commission on Environment and Development. http://www.un-documents.net/our-common-future.pdf

Capgemini (2020): How sustainability is fundamentally changing consumer preferences. https://www.capgemini.com/wp-content/uploads/2021/02/20-06_9880_Sustainability-in-CPR_Final_Web-1-2.pdf

Geis, Tesch(2019): Basiswissen Usability und User Experience.

Hartson, Pyla,(2019): The UX Book.

Kauer-Franz, Franz,(2022): Usability und User Experience Design: Das umfassende Handbuch.

Molzbichler(2019): Nachhaltiges Design und User Experience.

Tomitsch (2021): The hidden impact of UX design on climate change. URL: https://uxdesign.cc/the-hidden-impact-of-ux-design-on-climate-change-ec5f6e758638.

Portraitbild einer Person

Über die Authorin:

Monika Schirmeier ist selbstständige UX Designerin. Sie gestaltet Prozesse und Designs für Unternehmen mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit.

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